Im Spital möchte eigentlich jeder helfen. Aber manchmal stehen die Emotionen im Weg. Pflegefachmann Sebastian Fortmeier bringt dem UKBB-Personal bei, wie man brenzlige Situationen mit Patienten und besorgten Angehörigen vor einer Eskalation bewahrt.
Im Besprechungszimmer fliegen die Fetzen. Das Gebrüll einer Frau dringt durch die geschlossene Tür auf den Gang. Was sie sagen möchte, bleibt unverständlich. Ihre Wörter verschwinden im eigenen Lärm. Klar ist nur: Sie hat endgültig die Geduld verloren, die Beherrschung sowieso.
«Hallo, hallo!», ruft ihr jetzt eine andere Stimme entgegen. Hände klatschen. «Jetzt hören Sie mir doch erst einmal zu!» Und dann passiert etwas Sonderbares: Die Welt hält still. Nur für einen Augenblick. Aber lange genug, dass sich die Vernunft wieder zurück ins Besprechungszimmer traut.
«Sehr schön, das reicht schon», sagt nun eine tiefe Männerstimme in entspanntem, aber klaren Ton. Diese Stimme gehört Sebastian Fortmeier. Er ist Pflegefachmann und Deeskalationstrainer am UKBB und hat die Lage im Besprechungszimmer voll im Griff. Er gibt darin gerade seinen Kurs. Lautstarke schauspielerische Einlagen der Teilnehmenden gehören zum Training dazu.
Sebastian Fortmeier ist ein Bär von einem Mann. Gross, kräftig, gutmütig. Definitiv nicht der Typ, der Probleme magisch anzieht. Und doch hat der 39-Jährige in seinem Beruf schon einiges erlebt.
In Paderborn aufgewachsen, machte Sebastian Fortmeier seine ersten Schritte in der Pflege in verschiedenen Berliner Hotspots. Da kam einiges zusammen: Der besoffene Opa, der sich nach einem etwas flapsigen Spruch gleich mit einem prügeln will. Der bewaffnete Junkie auf der verzweifelten Suche nach dem Giftschrank. Oder der Durchgedrehte, der beinahe eine Arbeitskollegin erwürgt.
«Das war mir irgendwann alles viel zu stressig», sagt Sebastian Fortmeier. Er musste feststellen, dass Erfahrung allein keine ausreichende Lehrmeisterin ist. Er sehnte sich nach Entlastung. «Darum habe ich damals schliesslich einen Deeskalationskurs besucht.»
Seither weiss er: Den Umgang mit solch schwierigen Situationen kann man tatsächlich lernen. Und dafür muss man nicht mal ein Bär von einem Mann sein.
Für Sebastian Fortmeier hat sich die Investition unmittelbar bezahlt gemacht: «Mein Arbeitsalltag war nach dem Kurs wesentlich entspannter.»
Das Engagement in seinem Kurs ist hoch. Jeder Teilnehmende weiss: Früher oder später wird er wieder mit einer brenzligen Situation konfrontiert sein. Denn auch wenn es im UKBB deutlich ruhiger zu- und hergeht als in Erwachsenenspitälern, gibt es viel zu deeskalieren: Das verängstigte Kind, das sich vehement gegen eine Blutentnahme wehrt. Der betrunkene Teenager, der in der Wartezone auf dem Notfall alle blöd anquatscht. Und nicht zuletzt die Konflikte mit besorgten Eltern. «Sie sorgen wahrscheinlich für den grössten Aufwand», sagt Sebastian Fortmeier, «da ist es sicher hilfreich, wenn das gesamte medizinische Personal am selben Strang zieht.»
Man spüre, wie stark Eltern heute unter Druck stünden. Kommen zum Stress auch noch Besorgtheit und Wartezeiten dazu, sei das eine explosive Mischung. Sebastian Fortmeier kann das nachvollziehen. «Wir sind uns den Spitalbetrieb gewohnt. Aber die meisten Eltern kennen das natürlich nicht!»
In seinen Kursen geht es im Kern genau darum: um Verständnis und bewusstes Handeln. «Das Schauspielern ist da ein wertvolles Element», erklärt Trainer Fortmeier. «So nimmt man einmal die Perspektive des Querulanten ein. Man bekommt ein besseres Gespür dafür, was unterschiedliche Deeskalationsversuche mit einem machen – und welche Punkte man womöglich geschickter angehen könnte.»
Die teilnehmenden Ärztinnen, Ärzte und Pflegefachpersonen sind extrem froh, dass sie in Sebastian Fortmeiers Kurs die grundlegenden Techniken der Prävention und Deeskalation verinnerlichen können. Auch bereits gemachte Erfahrungen kommen da immer wieder zu Wort. Das Training ist eine ideale Gelegenheit, um sein eigenes Verhalten zu reflektieren und voneinander zu lernen. Dies erst noch unterstützt durch Videoanalysen.
Zum Lerninhalt des Kurses gehört auch, seine persönlichen Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren. «Ich kann den Teilnehmenden leider nicht einfach ein paar Werkzeuge mitgeben und dann bewältigen sie künftig alle Konflikte mit Links», sagt Sebastian Fortmeier. «Dafür sind die Konflikte zu komplex und einzigartig.» Aber er kann den Teilnehmenden helfen, in einer schwierigen Lage die geeignete Haltung einzunehmen.
«Im Grunde deeskalieren wir uns ja immer selbst», sagt Sebastian Fortmeier. Es eine Art Leitsatz, den die Kursteilnehmenden mitnehmen werden. Selber die Ruhe bewahren, wenn jemand ausrastet. Sich bewusstmachen, dass ausfälliges Verhalten im Spital selten einen feindseligen Ursprung hat. Nichts persönlich nehmen.
«Meistens ist Aggression Ausdruck der nackten Verzweiflung», erklärt Fortmeier. Entschärfen lasse sich die Situation in der Regel, wenn man das eigentliche Problem hinter dem sichtbaren Verhalten erkenne. Und dafür müsse man eben mit dem «professionellen Ohr» hinhören.
Im äussersten Fall mache es trotzdem Sinn, den Sicherheitsdienst einzuschalten. Eingreifen musste dieser im UKBB bislang zwar nur selten. Aber die Zusammenarbeit funktioniere hervorragend. «Die Jungs beweisen sehr viel Fingerspitzengefühl», findet Fortmeier.
Im Besprechungszimmer wird fleissig weiter trainiert. Die Theorie scheint zu sitzen. In der nächsten Übung soll ein magersüchtiges Teenager-Mädchen davon überzeugt werden, dass es sein Smartphone über Nacht abgibt. Und das dauert. Aber der Pflegefachmann macht alles richtig: Mit viel Geduld und geschickten Fragen geht er auf die protestierende Patientin ein, gewinnt so ihr Vertrauen und findet mit ihr zusammen schliesslich eine Lösung. Sie überreicht ihm ihr Handy. Die Eskalation bleibt aus.
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